Laviva - Das Lifstyle-Frauenmagazin und die Ernährungstherapeutin Conny Rabe gehen der Frage nach: Isst die noch normal ?
Ein paar Kilos abnehmen - wer will das nicht ab und an? Doch wenn ständige Diäten das Leben bestimmen, wird aus dem Dauerverzicht schnell eine Essstörung light
Text Laviva - Katrin Steffens
"Auf irgendwas muss man eben verzichten!" Oh nein, meine Freundin ist auf Diät - mal wieder. Ihre neueste Abnehmstrategie? Keine Kohlenhydrate. Und unser gemütlicher Pizza-Fernsehabend? Gestorben. Obwohl, der musste ja schon vor Monaten unter ihrem "Dinner Cancelling" (kein Essen mehr nach 17 Uhr) leiden. Immerhin, als die Saftdiät - oder war es "Schlank im Schlaf" - dran war, machte sie zumindest dafür eine Ausnahme. Das Absurde an der Sache ist aber vor allem, dass meine Freundin nicht mal ansatzweise dick ist. Sie trägt Größe 38. Trotzdem kreisen ihre Gedanken andauernd ums Gewicht, immer denkt sie darüber nach, was sie essen darf und worauf sie verzichten muss. Ein Teufelskreis.
Ständig tobt das Gedankenkarussell -zu viel gegessen?
"Im Grunde fängt ein gestörtes Essverhalten da an, wo Essen keine genussvolle, schöne Sache mehr ist - sondern man sich bestimmte Lebensmittel verbietet und ständig plant, was wann gegessen werden darf", sagt Conny Rabe, Ernährungstherapeutin aus Leipzig. Kennt man ja von sich selbst: Wer abends noch bei Freunden zum Essen eingeladen ist, verzichtet lieber nachmittags auf das Stück Kuchen. "Richtig schwierig wird es, wenn diese Planungen und Verbote einen so großen Raum einnehmen, dass auch soziale Beziehungen leiden", erklärt die Diplom-Ökotrophologin. Wenn also jede Essenseinladung in angespanntem Auf-dem-Teller-Herumpicken endet oder sich beim Einkaufsbummel mit Freundinnen keine Snackbar findet, die den Diätansprüchen genügt.
Ebenfalls häufig ein Problem: wie und ob über die aktuelle Diät oder über Lebensmittelverbote gesprochen wird. Das hängt vom Umfeld ab: "In meinen Beratungen bekomme ich mit, dass es in manchen Familien oder Freundeskreisen ganz normal ist, ständig über das Nichtessen zu reden. Auch auf dem Schulhof unter jungen Mädchen ist das oft Thema - so sehr, dass sich manche nicht mehr trauen, in der Schule etwas Normales zu essen", sagt Rabe.
Doch auch das Gegenteil ist oftmals der Fall. Nicht wenige verstecken ihr schwieriges Essverhalten hinter "Ich darf nicht" oder "Das vertrage ich nicht". Aktuellstes Beispiel aus den USA: Überraschend viele Stars, etwa Victoria Beckham, Miley Cyrus oder Gwyneth Paltrow leiden plötzlich unter Milchzuckerunverträglichkeit, Weizenallergie oder "müssen" glutenfrei essen. Wer's glaubt ...
Schlank gleich glücklich - diese Formel hakt
Doch selbst wenn es so gelingt, die Figur auf Idealmaß zu trimmen: Glücklich macht es nicht. Erstens gibt es keinen Menschen, der gleichzeitig gute Laune und einen hungrigen Bauch haben kann, zweitens leidet die Lebensqualität massiv unter solchen auferlegten Verboten.
Und es ist ja auch schwierig, zufrieden mit sich zu sein. Überall superschlanke Models - ob an der Litfasssäule, in der TV-Werbung oder in Magazinen. Alle dünn - und alle retuschiert. Das ist bekannt, man kommt aber trotzdem häufig zu dem Schluss: Würde ich so aussehen, wäre ich schön, glücklich und würde akzeptiert. Funktioniert nur leider nicht.
"Je geringer das Selbstwertgefühl, desto mehr liegt der Fokus auf Gewicht und Figur, das zeigen Untersuchungen", sagt Conny Rabe. Sprich: Jemand, der mit sich im Reinen ist, lässt sich von Models nicht besonders beeindrucken. Wer sowieso mit sich hadert, läuft Gefahr, sein Selbstwertgefühl von der Anzeige der Waage abhängig zu machen. Und damit nicht genug. "Neben der Unsicherheit mit sich selbst ist ein hoher, selbst auferlegter Leistungsdruck ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung einer Essstörupg", so die Ernährungsexpertin.
Normal essen -was heißt das überhaupt?
Besser ist, unbefangen und frei von Verboten (außer bei tatsächlichen Allergien) zu essen, und zwar das, worauf man Lust hat. "Und nur dann, wenn man wirklich Hunger hat", sagt Conny Rabe. Auch aufhören, wenn man satt ist, gehört zu einem normalen Essverhalten.
Nicht leicht in einer Gesellschaft wie die unsere, in der Essen zur Wissenschaft wird: nicht zu viel Fett, Zucker, Salz, Cholesterin - man könnte die Liste endlos fortführen. Darf man da ohne schlechtes Gewissen in einen Double-Chocolate-Cookie beißen? "Ja", meint die Ernährungstherapeutin, "wenn man wieder lernt, achtsam zu essen, langsam, ohne Ablenkung und mit allen Sinnen. Dann entsteht Genuss." Und der lohnt sich. Denn ist der Bauch befriedigt, freut das die Seele. So zufrieden und gesättigt reichen dann auch zwei große Schokokekse. Weil erst Ärger, Stress oder Frust uns zur ganzen Packung greifen lassen. Also, locker bleiben und genießen.
So lernt man wieder zu genießen:
Informationen, Buchtipps und Beratungsadressen bietet die Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Thema Essstörungen: www.bzga-essstoerungen.de
Dieses Buch hilft, sich selbst und seine Essgewohnheiten in einem neuen Licht zu sehen und - wieder lieben zu lernen. Es ist kein Diätbuch, auch wenn das Wörtchen "schlank" im Titel das vermuten lässt. "Schlank durch Achtsamkeit" von Ronald Pierre Schweppe, Systemed Verlag, 14,95 Euro
Wer will das nicht - Frieden mit sich und dem eigenen Körper schließen? Wie das gehen kann, zeigt das Buch "Essen ist nicht das Problem" der amerikanischen Autorin Geneen Roth. Kailash Verlag, 17,99 Euro